So sieht es seit einigen Monaten immer freitags im Gemeindehaus St. Marien aus: Ein Woll-Faden ist in einem ungewöhnlichen Winkel quer durch den Raum gespannt. An ihm entlang – nämlich in Richtung Mekka – legen Männer sorgfältig kleine Teppiche aus, konzentrieren sich in der Stille und knien schließlich nieder. Die Muslime der Ahmadiyya Muslim Jamaat Gemeinde Husum versammeln sich hier zum Freitagsgebet – in großem Respekt voreinander, vor Allah und vor den Gastgebern. Und zur festgelegten Zeit, jeweils 30 und 15 Minuten vor Beginn des Gottesdienstes, ruft der Muezzin zum Gebet.
Hintergrund ist, dass die Ahmadiyya ihre bisherige Heimat im Treibweg verloren und im Industriegebiet ein neues Gemeindezentrum bauen. Im Sommer war es für die etwa 100 Gemeindeglieder gut möglich, sich zumindest freitags, der wichtigsten Gebetszeit, unter freiem Himmel zu treffen. Aber das, so fand die Kirchengemeinde Husum, sei doch keine Perspektive für die Wintermonate. Und so entschied sie sich, die Ahmadiyya in ihr Gemeindehaus einzuladen – und diese nahmen gerne an. So ist das seit September des vergangenen Jahres, und immer freitags erklingt zur späten Mittagszeit der Gebetsruf im Evangelischen Gemeindehaus. Der Kontakt sei herzlich, erzählt Friedemann Magaard, er habe sich bereits sehr geehrt gefühlt, dass er als evangelischer Pastor zur Grundsteinlegung der Moschee im April 2019 eingeladen worden war. „Die Zusammenarbeit ist unkompliziert“, sagt er, „die Ahmadiyya-Gemeinde hält sich sorgfältig an die Hygienevorschriften, ist superfreundlich und gut organisiert.“
In Husum gibt es zwei muslimische Konfessionen. Zu beiden hat die Kirchengemeinde einen guten, freundschaftlichen Kontakt. „Wir kennen uns und wissen voneinander“, so Magaard, der auch Beauftragter des Kirchenkreises für den christlich-muslimischen Dialog ist. In beiden Gemeinden sei er herzlich willkommen, und umgekehrt ist es genauso: Bei besonderen Anlässen sind immer auch die muslimischen Vertreter eingeladen. Zuletzt war die Ahmadiyya-Gemeinde sogar bei der Stadtwette für die neue Orgel aktiv. „Für alle Gemeindeglieder war es eine Herzensangelegenheit, sich an dieser Aktion zu beteiligen“, schreibt Hasib Ghaman in der Festschrift.
Dass Christen und Muslime einander Gastfreundschaft gewähren ist, so Ghaman, keine Erfindung der Neuzeit. „In einer Begebenheit zu der Zeit des Heiligen Propheten Muhammad heißt es, dass ein christliches Volk zu dem Heiligen Propheten Muhammad kam, und die Gebetszeit für die Christen brach an“, schreibt Ghaman auf Aufrage. „Der Heilige Prophet Muhammad bot ihnen an, das Gebet in der Moschee abhalten zu können.“ Das friedliche Miteinander der Religionen gibt es also schon lange, so der Imam, und so soll es auch bleiben.
Am Altjahrsabend trafen sich nun die Muslime zum letzten Mal in der Norderstraße. Bis ihr eigenes Haus fertig ist, treffen sie sich in Räumen des Diakonischen Werks Husum. Friedemann Magaard und Hasib Ghaman sind dankbar für die gemeinsame Zeit. „Vertrauen kommt nicht von alleine“, so der Pastor, „dafür müssen wir uns besuchen und neue Räume öffnen.“ Und das sei auch theologisch angemessen, denn Christen und Muslime sind gemeinsam mit den Juden „entfernte Verwandte“, weil sich alle drei Religionen auf Abraham als Stammvater berufen. „Ich finde es wichtig, dass die verschiedenen religiösen Gruppen Husums in guter Nachbarschaft miteinander leben.“
BU: Stehen ein für gutes Miteinander der Religionen in Husum: Pastor Friedemann Magaard (li.) und Muhammad Zia Nasir, Präsident der Ahmaddiyya Jamaat Gemeinde Husum.