Breklum/Hademarschen – Ein Schmuckstück ist er nicht grade, der weiße Lada aus der Ukraine. Die Hintertüren gehen nicht mehr auf, Rost blüht an den Kanten, dem Dachgepäckträger möchte man sein Gepäck eher nicht mehr anvertrauen. Ein Schmuckstück ist er nicht, aber er ist – gerade in seiner Verletztheit – ein Symbol: Mit letzter Kraft schaffte er den langen Weg hierher. Ein Leck im Tank machte die Tour zur Tortour. Zu schade zum Verschrotten, fand Nora Steen, theologische Leiterin des Christian Jensen Kollegs (CJK) in Breklum. Mit einem Facebook-Aufruf setzte sie in Gang, was in Hademarschen im Kreis Rendsburg-Eckernförde zur Idee wurde: Ein Konfi-Projekt mit dem Thema Flucht und Frieden. Am Wochenende holten die Jugendlichen das geschundene Vehikel ab.
Diana Krückmann, Pastorin der Kirchengemeinde Hademarschen, entwickelte das Konzept: Übers Jahr will sie mit ihren Konfis immer mal wieder das Thema bearbeiten. Die Jugendlichen sollen einen eigenen Zugang zum Thema entwickeln. Denn es ist etwas anderes, die Bilder im Fernsehen zu sehen, als sich mit Herz und Hand damit auseinanderzusetzen. Der Lada, so erklärt Nora Steen, sei schwerstbepackt in Breklum angekommen, der Rücksitz war voller Kuscheltiere für das behinderte Kind, die Familie hatte mitgenommen, was eben ging. Ihr sei dabei klar geworden, wie schwer es ist, die Heimat verlassen zu müssen, und wie unendlich schwer die Erkenntnis sein muss, nicht oder erst nach Jahren zurückkehren zu können.
Zwei Ukrainerinnen standen den Konfis für Fragen zur Verfügung: Auch Olga und Tatjana waren in Breklum gelandet. Drei Tage habe die Reise gedauert, in den Armen die Töchter Mia und Angelina. In Berlin angekommen seien sie dann in den Bus gestiegen, der sie nach Husum brachte: Tatjana eher zufällig, weil sie viel zu müde war, um sich wirklich zu entscheiden, und Olga hatte schnell Husum gegoogelt und das Meer in der Nähe entdeckt, das, so hoffte sie, ihr guttun und ihr Ruhe schenken würde. Sie erzählten von den Fluchterfahrungen und vom Heimweh. Und während Tatjana täglich Telefon-Kontakt in die Heimat hat, kann Olga nur sehr selten Verbindung zum Geliebten und zum Bruder bekommen, weil beide einberufen sind und an der Front kämpfen. Die deutsche Sprache ist schwer, aber die Nordfriesen sind nett. Runa Brunk vom CJK hilft ihnen in allen Fragen. Beide haben inzwischen eine eigene Wohnung, die Kinder gehen zur Schule. Sie gewöhnen sich an das Unerträgliche.
Dennoch war die Übergabe des Lada eine fröhliche Angelegenheit: Rasch kaperten die jungen Leute das Fahrzeug. Sie kletterten sogar aufs Dach, denn ein paar Kratzer oder Dellen mehr würden dem Gefährt nichts ausmachen. Mit dabei war auch Bürgermeister Thomas Deckner: Ihm gefällt die Idee, dass der Lada beim nächsten Volkstrauertag eine zentrale Rolle als Friedensbote spielen könnte. Dem gelernten KFZ-Meister leuchteten außerdem die Augen beim Anblick des geschundenen Fahrzeugs, und fachmännisch half er, das Auto auf den Trailer zu verladen, den das örtliche Autohaus der Gemeinde geliehen hatte.
Was nun daraus wird? Das ist noch nicht ganz klar, das entscheiden die Konfis mit. Man könnte ihn bunt anmalen und ein Kunstprojekt daraus machen. Aber vielleicht wird er auch mit Koffern vollgepackt, und die Jugendlichen überlegen, was ihnen wirklich so wichtig ist, dass sie es mitnehmen würden, wenn sie selber fliehen müssten. „Wir stellen das Instrument, ihr seid die Musiker“, so fasste Arend Engelkes-Krückmann, der ebenfalls Pastor in Hademarschen ist, die Aktion zusammen.