Tönning – Eine kleine Hommage muss und darf dieser Text werden. Gestern haben wir Gisela Mester-Römmer in den Ruhestand verabschiedet. Es war ein rauschendes Fest, die St. Laurentius-Kirche war brechend voll. Aber es war anders als andere Feste dieser Art. Und das hat etwas mit ihr zu tun.
Een Stück mit Schlachrohm un een Stück drööch
„Frau Mester-Römmer möchte gern vielen Menschen begegnen und sich mit ihnen an Erlebnisse und Ereignisse erinnern“, so hieß es in der schlichten Einladung. „Dafür wünscht sie sich Zeit. Bitte sehen Sie von Grußworten ab und sprechen Sie persönlich mit ihr“ – das geht in Nordfriesland eigentlich gar nicht. Solche Anlässe laufen immer nach demselben Schema ab: Offizielle und Würdenträger werden eingeladen, sie erscheinen in offiziellen Anzügen oder Uniformen, überreichen offizielle Geschenke und sprechen offizielle Worte – die sogenannten Grußworte. Das geschieht in der Regel nach dem Kaffeetrinken (een Stück mit Schlachrohm und een Stück drööch!), und an ihrer Anzahl lässt sich die Popularität des Geehrten oder der Geehrten messen.
„Ich bin eine altmodische Pastorin“
Gisela Mester-Römmer tat gut daran, es sich anders zu wünschen. Es wären viele Grußworte geworden, sehr viele. Sie war 22 Jahre lang Pastorin in Tönning, sie hat sich auf vielen Ebenen und auch über die Gemeindegrenze hinaus engagiert. Sie ist eine beliebte Seelsorgerin und eine engagierte Theologin. Es gäbe so viel zu sagen, und Vieles wäre auch des Hörens wert gewesen. „Ich bin eine altmodische Pastorin“, verriet sie den Husumer Nachrichten, „ich habe immer Besuche gemacht, denn der Mensch muss Vertrauen fassen.“
Predigt im Alltag auf vielerlei Weise
Eine Hommage muss und darf dies werden, so begann dieser Text. Nicht nur an eine Pastorin, sondern auch an diesen Beruf, der viel fordert, aber auch viel gibt und voller Möglichkeiten ist. Es muss eine Hommage werden, weil das journalistische Handwerk schlicht nicht bedient wurde an diesem Tag. Niemand hatte die Zahl der Taufen gezählt und niemand die Zahl der Sitzungen, an denen sie – unter anderem als stellvertretende Pröpstin – teilnahm. Niemand zählte die Zahl der Begegnungen, der Gespräche zwischen Tür und Angel, ja nicht einmal die Radio-Andachten oder ihre Geleitworte für die Zeitung. Es wurde an diesem Tag nicht geprahlt, von niemandem – und von ihr schon gar nicht. Eine Hommage darf dies werden, weil dieser Tag den Beruf eines Pastors/einer Pastorin so würdigte: Gisela Mester-Römmer hat immer die Person hinter den Beruf gestellt und ihn gleichzeitig mit Leib und Seele ausgefüllt. Dabei war sie zu jedem Zeitpunkt reflektiert und kompetent, klar in ihren Entscheidungen und durchaus auch einmal deutlich in ihren Worten. Humorvoll und zugewandt, Musik und Poesie liebend verstand sie es, die Liebe Gottes im Alltag und auf vielerlei Weise zu predigen.
Geschenke besonderer Art
Gisela Mester-Römmer hatte nachdrücklich darum gebeten, „auf Abschiedsgeschenke in jeglicher Form zu verzichten.“ Stattdessen freue sie sich über Spenden für die Turmuhr. Geschenke gab’s trotzdem, aber anders als erwartet: Die Pastorin hatte Naschi-Tüten für jeden Gottesdienstbesucher vorbereitet. Das habe sie schon immer einmal tun wollen, verriet sie, denn Gottes Wort sei wie Süßes für die Seele. Das zweite Geschenk war ein Flick-Flack im Talar durch den Kirchengang – davon habe sie immer schon geträumt, es aber aus Mangel an Sportlichkeit bisher unterlassen müssen – und dabei müsse es nun leider aus Altersgründen auch bleiben. Dabei hatte sie, die so wunderbar mit Worten Bilder und Geschichten entstehen lassen kann, bei den Besuchern schon längst ein Kopf-Kino in Gang gesetzt, das keiner Realisierung bedurfte. Ihr letztes Geschenk war ein Lied, das sie sich vom Chor gewünscht hatte – und sie hatte es mit Absicht an das Ende des Gottesdienstes, aber vor den Segen gestellt. „Et gah uns wohl op unse olen Dach“ – mit dem Trinkspruch der Martje Flors appellierte sie an Lebensfreude und machte deutlich, dass Kirche mehr ist als Singen und Beten und Gottesdienstfeiern. Das ist sie auch, unbestritten. Aber gleichzeitig ist sie Kirche in der Welt und mit der Welt, sie ist Essen und Trinken, Feiern und Fröhlich-Sein. Und da saß sie im Talar in der ersten Reihe und sang jede Zeile mit. Unter dem Eindruck dieser unbändigen Fröhlichkeit segnete sie die Gemeinde, deren Geschicke in Zukunft andere lenken werden.
Inke Raabe