Niebüll – Der Umschlag aus grau-blauem Papier ist fast 240 Jahre alt, die dünnen Notenlinien sind von Hand gezogen. An den Notenköpfen kann man die Entwicklung erkennen: Anfangs schrieb der Komponist noch mit einem billigen Gänsekiel, mit der etwas teureren Stahlfeder gerieten die Noten sauberer und dünner. Es ist ein besonderes Fundstück, ein wertvoller Schatz. Heute wurde in der Niebüller Christuskirche ein handschriftliches Original mit Orgelstücken von Ulrich Anton Clausen Fehr (1752-1812)aus Privatbesitz in die Hände des Landesarchivs der Nordkirche übergeben.
Ein Stück Familiengeschichte und ein kleines Wunder
„Das Heft ist vor über 30 Jahren in den Besitz meiner Familie gekommen“, erinnert sich der emeritierte Lehrer Hinrich Paul. Seine inzwischen verstorbene Mutter habe ihm und seiner Schwester die Wurzeln der Familie erklären wollen, so war das Trio ins dänische Sonderburg gereist, den Spuren seines Urgroßvaters mütterlicherseits zu folgen. In der Oksbüller Kirche sei der Urgroßvater Organist gewesen, erzählte Pauls. Und wie der Zufall manchmal spielt, war an eben jenem Tag Großreinemachen angesagt, und die junge, aktuelle Organistin wollte soeben drei alte Handschriften in den Papiermüll geben, unter ihnen eben jenes Heftlein von Fehr, in dem er Stücke für den Gottesdienst in der Niebüller Christkirche niedergeschrieben hatte.
Musikwissenschaftler Konrad Küster erkannte schnell den Wert dieser Handschrift, beschäftigt er sich doch schon seit langem mit der Musikgeschichte des Nordens. „Die Nordseeküste ist die älteste Orgellandschaft der Welt“, erklärte er, „ohne Orgel kann man die nordfriesische Kultur nicht verstehen.“ Mit Fehr sei ein weiterer, bedeutender Komponist dieser Orgellandschaft bekannt geworden.
Präludien und Vorspiele
Im Gottesdienst verdeutlichte Kirchenmusiker Volker Scheibe die Arbeitsweise Fehrs: Vor dem zu begleitenden Choral setzte Fehr zur Einstimmung ein kleines Präludium in der Tonart des zu singenden Stückes. Darauf folgte das Vorspielen der Melodie, mal mehr und mal weniger filigran untermalt. Für die eigentliche Choralbegleitung konnte er sich auf das gedruckt vorliegende Choralbuch von Johann Balthasar Rein von 1755 stützen. Konrad Küster erklärte, dass das vorliegende Heft aus verschiedenen Heften zusammengefügt worden sein muss. Fehr selber hatte die Stücke nach Tonart sortiert, so dass er schnell auf die verschiedenen Anforderungen reagieren konnte.
Konzipiert für die Gemeinde
„Fehrs Ambitionen lagen nicht dabei, exemplarische Kunstmuster vorzulegen, sondern seinen sonntäglichen Dienstpflichten nachkommen zu können“, erklärt Konrad Küster in seinem Vorwort zum Heft 44 „Musik zwischen Nord- und Ostsee“. Im Gottesdienst wurde sehr schön deutlich, wie Fehr sanft zum Gemeindegesang führt und diesen sensibel stützt.
Eine besondere Freude
Zur Feier des Tages war auch Landeskirchenmusikdirektor Hans-Jürgen Wulf gekommen und gestaltete die Musik bei der kleinen Feier im Anschluss. „Es ist eine besondere Freude, dieses kostbare Stück entgegen nehmen zu dürfen“, sagte Ulrich Stenzel vom Archiv der Nordkirche. Behutsam nahm er das Manuskript aus den Händen von Hinrich Paul entgegen. „Es ist bei uns gut aufgehoben und wird noch Generationen von Forschern und Musikern zur Verfügung stehen.“